Unconscious Biases – Wie sie Entscheidungen für uns treffen (ohne dass wir es merken)

von Katharina Gittsovich in , — September 2023
Das Wichtigste zuerst: Unconscious Biases sind nicht „per se“ schlecht. Im Gegenteil, sie sind für uns Menschen überlebensnotwendig. Warum? Weil sie uns helfen, mit Millionen an Informationen pro Sekunde zurechtzukommen und rasche Entscheidungen zu treffen. Die Schattenseite dieser automatisiert ablaufenden Denkmuster: Wir treffen zwar rasche, aber nicht notwendigerweise gute Entscheidungen – beispielsweise bei der Personalauswahl, bei Beförderungen oder bei der Zusammenstellung von Teams.
Unconscious Biases

Was sind Unconscious Biases und wie entstehen sie?

Unconscious Biases sind unbewusste kognitive Verzerrungen wie Stereotype oder Vorurteile gegenüber bestimmten sozialen Gruppen. Sie erklären sich aus der Evolutionspsychologie und ermöglichen uns, blitzschnell und intuitiv zwischen „Freund“ und „Feind“ zu unterscheiden – aufgrund von Aussehen, Sprache, Verhaltensweisen, Herkunft, etc.

Der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat erforscht, dass unser Denken zu rund 90% automatisch und unbewusst abläuft. Nur etwa 10% unseres Denkens findet im bewussten, analytischen und gleichzeitig langsamen Denkmodus statt. Das führt dazu, dass wir dazu tendieren, Personen nicht aufgrund ihrer individuellen Eigenschaften zu beurteilen, sondern aufgrund von Gruppen-Stereotypen.

Es gibt eine Vielzahl an Unconscious Biases, darunter die unbewusste Kategorisierung aufgrund von Geschlecht, Alter, Attraktivität, Körpergröße, Name, etc.

Wir haben hier einige weitere für HR relevante Unconscious Biases angeführt und Maßnahmen ergänzt, um die Auswirkungen besser kontrollieren zu können:

1. Affinity Bias oder „Gleich und gleich gesellt sich gern“

Wir tendieren dazu, Menschen, die uns ähnlich sind, besser zu beurteilen.

  • Beispiel: gleiche Interessen und Hobbies, gleiche Universität, gleiches Heimat(bundes)land, etc.
  • Mögliche Gegenmaßnahmen: „Must-haves“ zu Beginn des Recruiting-Prozesses schriftlich festhalten: Welche Qualifikationen, Skills und Denkweise sind für die für die zu besetzende Position relevant?

2. Confirmation Bias oder „Die sich selbst erfüllende Prophezeiung“

Dabei suchen und interpretieren wir Informationen unbewusst so, dass sie unsere Erwartungen erfüllen und Meinung bestätigen.

  • Beispiel: einem/r vermeintlichen Top-Kandidat*in werden eher Fragen gestellt, die ihre/seine Stärken in den Vordergrund stellen
  • Mögliche Gegenmaßnahmen: Verwendung eines standardisierten Fragebogens

3. Proximity Bias oder „Aus den Augen, aus dem Sinn“

Wir neigen dazu, Personen und Ereignissen, die uns räumlich oder zeitlich näher sind, mehr Bedeutung zu geben.

  • Beispiel: ein*e Kandidat*in, die wir erst gestern interviewt haben, ist präsenter als jene*r, bei dem/der das Interview schon einen Monat zurückliegt
  • Mögliche Gegenmaßnahmen: Zeitnahe, schriftliche und standardisierte Beurteilung des Interviews

4. Attribution Bias

Während wir bei anderen Menschen die Ursache für ein bestimmtes Verhalten eher inneren Merkmalen (Persönlichkeit, Skills) zuschreiben, neigen wir bei uns selbst eher dazu, externe Ursachen zu sehen (Situation).

  • Beispiel: ein*e Kandidat*in, der/die im Videocall-Interview nervös ist, wird als inkompetent beurteilt
  • Mögliche Gegenmaßnahmen: Hinterfragen: Was könnten andere Gründe für das Verhalten der Person sein? Wie reagieren andere Kandidat*innen in der gleichen Situation? Perspektivenwechsel, etc.

5. Halo-Effekt bzw. Horns-Effekt

Während wir beim Halo-Effekt von einem außergewöhnlich positiven Merkmal darauf schließen, dass der/die Kandidat*in in allen Bereichen außergewöhnlich ist, verhält es sich beim Horns-Effekt genau umgekehrt.

  • Beispiel: Absolvent*in einer renommierten Universität, Top-Unternehmen als aktueller Arbeitgeber
  • Mögliche Gegenmaßnahmen: Gezieltes Hinterfragen: Warum fühlt sich der/die Kandidat*in richtig/falsch an? Ist das für die Stelle relevant? Nicht relevante Informationen aus dem Lebenslauf streichen und für „Must-haves“ Punkte vergeben, Verwendung eines standardisierten Fragebogens

Was können wir also tun, um bessere Entscheidungen zu treffen?

Um unser analytisches, bewusstes Denken zu aktivieren, sollten wir ...

  • ... uns Zeit nehmen – Stress ist ein Auslöser für automatisierte Denkmuster
  • ... uns bewusst sein, dass Unconscious Biases unsere Entscheidungskompetenz beeinflussen
  • ... einem strukturierten Recruiting-Prozess folgen
  • ... das eigene Verhalten relektieren und hinterfragen
  • ... Entscheidungen gemeinsam mit anderen treffen, um unterschiedliche Blickwinkel einzubringen

Gut zu wissen: Nicht nur die menschliche Intelligenz wird von unterschiedlichen Biases beinflusst. Auch die künstliche Intelligenz ist nicht vor Vorurteilen und Fehlern gefeit – einerseits weil sie von Menschen trainiert wird, andererseits weil die KI selbst Zusammenhänge erkennt, wo keine sind.

Fazit: Wir können die Entstehung von Unconscious Biases nicht vermeiden. Aber durch bewussten Umgang und Selbstreflexion können wir die Auswirkungen besser kontrollieren.

Cultural Fit – oder Cultural Add?

In diesem Zusammenhang stellt sich auch eine grundsätzliche Frage: Wollen wir uns bei der Personalauswahl an der Vergangenheit orientieren oder zukunftsorientiert handeln? Anders gefragt: Suchen wir Personen, die gut in unsere Organisation passen, weil sie uns ähnlich sind? Oder suchen wir nach Menschen, die unsere Fähigkeiten ergänzen?

Wenn wir uns für Zweiteres entscheiden, dann sollten wir uns zu Beginn des Suchprozess fragen: Welche zusätzlichen Eigenschaften benötigt das Team, um erfolgreich zu sein? Und: Welche Persönlichkeiten mit welcher Kompetenz, Erfahrung und Denkweise werden wir in Zukunft brauchen?